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Von Halfern-Park

Aachen übte zwischen 1810 und 1870 eine große Anziehungskraft auf Zuzügler in Gestalt von Unternehmern aus. Es gab aufgrund vieler Erwerbsloser eine Menge billiger Arbeitskräfte, die sich auch noch mit den modernen, belgischen Dampfmaschinen auskannten. Auch Gustav von Halfern kam 1840 als Jüngling aus Essen-Elberfeld nach Aachen, um „gut betucht“ sein Glück zu machen. Sein Vater war nämlich ein erfolgreicher Wollhändler in Elberfeld.

Gustav war schon bald Besitzer einer Tuchfabrik am Burtscheider Viadukt in der Kurbrunnenstraße. Später hatte seine Fabrik sogar eine Generalagentur in Turin. Sie trug den klangvollen Namen „Fabrica di Pana-Lana“. Zuerst wählten die von Halfern Burtscheid um sich niederzulassen und bewohnten ein altes Patrizierhaus. Später zogen Bertha und Gustav neben ihre Fabrik in die Kurbrunnenstrasse.

Dann aber, 1870, wollte Gustav seiner Familie einen Sommersitz schenken und kaufte von der Familie Kropp „Gut Groutenhof“ an der Lütticher Strasse. Der Groutenhof lag auf den nördlichen Ausläufern des Aachener Stadtwaldes an einem Berg. Der Fuß des Berges hieß „Groutes“. Der Name kommt von „Grut“, in Sümpfen wachsende Stauden, die vor Einführung des Hopfens als Bierwürze verwendet wurden. Wahrscheinlich war damals dort sumpfiges Gebiet und der Groutenhof ein Gebäude in dem man Grut lagerte.

Gut Groutenhof wurde 1574 zum ersten Mal geschichtlich erwähnt als von spanischen Truppen besetztes Gruithaus. Dann, 1690 als von Franzosen niederge-brannter Gruithof oder Grunshaus.1915 als von Köln-Kalker Truppen besetztes Grundhaus. Und schließlich 1919 als von belgischen Truppen besetztes Hochgrundhaus.

Der Halfernsche Traum vom Wochenendhaus verwirklichte sich für das Erste in einem Anbau an den Kuhstall des Hofes. Es folgte ein einfaches, kleines Wohnhaus, als Aufenthalt für nur einige Tage gedacht. Durch weitere An- und Umbauten wurde es später zum Sommersitz der Familie. Gustav legte einen Taubenschlag an, einige Pfauenställe und ein kleines Bienenhaus. Im Gurkenhaus wurden Gurken und Stecklinge junger Baumgenerationen gezüchtet. Im Winter wurde die hauseigene Turnhalle, welche mit Ringen, Reck, Trapez und Barren ausgestattet war, beheizt, um Palmen, Lorbeer und Myrthen unterzustellen.

Schon in den ersten Jahren kaufte Gustav Teile des späteren Parks dazu. Dort errichtete er einen kleinen Tempel mit Strohdach. Gleichzeitig wurde eine zweite Wiese erworben, der heute untere Teil des Parks. Ebenfalls zum Grundstück gehörten ein kleiner Wald am Preusweg und ein Waldstück an der Lütticher Strasse.

1875 starb Gustav, und sein Sohn Friedrich erbte den Besitz. Er benannte den ehemaligen „Groutenhof“ aus dem niederdeutschen (Gruithaus, Gruthes, Grunshaus) um in das hochdeutsche „Grundhaus“ und „Hochgrundhaus“. Damit verfälschte er die Herkunft des Besitzes ein wenig in die gehobene Gesellschaft.

Friedrich baute auf dem Groutenhofgelände nach und nach sein „Hochgrundhaus“. Er kaufte Ackerland, das Quellgebiet des Kannegießerbachs und ein Waldstück dazu und bestückte den wachsenden Park seiner romantischen Veranlagung entsprechend mit allerlei Bauten wie Grotten, Tempelchen und Türmchen. Neben einem künstlichen Wasserlauf hatte Friedrich in die Wand seiner Hausgrotte drei „Heinzelmännchenfriese“ als Hausgeistersymbol eingelassen, auf dass das Familienglück, – wie auch das Wasser, niemals versiege. Außerdem legte er eine Waldkegelbahn an, einen Krocketplatz, eine Bocciabahn und einen Schießplatz, auf dem Tonvögel mit Pfeil und Bogen beschossen wurden. Später wurden noch ein kleiner Tennisplatz mit Sporthaus und eine Reitbahn gebaut. Die Reitbahn wurde „Sibyllensport“ oder „Ich krieg en Unglück“ genannt. Sibylla war eine Verwandte und pflegte beim ungeschickten Reiten so oft es ging den Ausruf: „Jul, Ich krieg en Unglück“. Julius, ihr Mann, musste stets helfen.

Friedrich von Halfern war Tuchfabrikant, Landrat, Stadtverordneter, Bankdirektor, Oberbrandmeister der Burtscheider Feuerwehr und leidenschaftlicher Dendrologe (Baumforscher). Leidenschaft brauchte er dabei auch, denn die Baumkuriositäten seines Parks waren damals nur schwer erhältlich und sehr teuer. Auf Rügen ruinierte sich ein reicher Dendrologe mit diesem Hobby. Er ließ sich die exotischen Bäume samt Muttererde für viel Geld ausgraben und liefern, wodurch er am Ende verarmte. Er konnte nicht einmal sein im Park gelegenes Haus fertig stellen. Friedrich war allerdings so schlau, Bäume aus seinem Palmen-, und Kuriositätenbestand an die Stadt Aachen zu verkaufen. Die meisten der Bäume wurden im Kaiser Friedrich-Park gepflanzt.

Friedrich und seine Frau Helene berieten sich bald, wie sie ihren Park anlegen sollten. Französisch oder englisch? Da beide einen Hang zur Romantik hatten, entschieden sie sich für das wild-urwüchsige England anstelle des geordneten und geraden Versailles. Sie gestalteten den Park im Stil eines Englischen Gartens nach den Plänen des damaligen Stadtgartendirektors Heinrich Grube. Es gab sogar weite Erdbeerfelder in dem etwa 10 ha großen Park.

Trotz großer Leidenschaft wurden die von Halfern nicht von einer gewissen chaotischen Melancholie verschont. So wollte Friedrich in seinem Park die „Weltenesche Yggdrasil“ nachbilden, was ihm jedoch nicht wirklich gelang. Yggdrasil ist ein siebenstämmiger Baumriese aus der nordischen Mythologie und stellt den Mittelpunkt der Welt dar. Man sagt zwar, dass Friedrichs Yggdrasil im Halfernschen Park über Aachen wacht, allerdings weiß heute keiner mehr so genau, wo sie steht bzw. stand.

Doch gerade wegen seiner Liebe zu Bäumen entwickelte sich der Park in über 100 Jahren in ein einmaliges Arboretum mit 81 sehenswerten Laubbäumen sowie 51 Nadelbäumen aus fernen Ländern. Davon sind viele heute Naturdenkmäler und stehen unter besonderem Schutz. Zum Teil besitzen sie richtig poetische Namen, wie Amberbaum, Araukarie, Engelmannsfichte, Götterbaum, Pyramideneiche, Urweltmammutbaum oder Zeder des Libanon. Unter anderem sollen sich Aachens höchste Pappel und seltenste Birke einst in diesem Park befunden haben.

1890 wurde das Hochgrundhaus bis auf zwei Eckzimmer niedergerissen. Nun hatte Friedrich endlich Gelegenheit, seiner romantischen Ader freien Lauf zu lassen und sein prächtiges Märchenschloss, wie es heute noch steht, neu aufzubauen. Die Initialen „v. H“ stehen noch immer auf den gusseisernen Pfeilern der Gartentore und erinnern an die vergangene Pracht des Anwesens, von der auch noch die halbverfallenen Löwen am Eingangstor zeugen, die einst das Familienwappen trugen.

Doch schon bald nach Fertigstellung gab es eine hartnäckige Belästigung durch Ameisen in dem Gebäude. Sie hatten sich irgendwo im Gebälk angesiedelt und krochen munter durch das Haus.
„Abends zog man breite Kreidestriche um die Betten, um sich nachts vor den Insekten zu schützen. Bei Renovierungen fand man unter der Tür eines Schlafzimmers einen Holzbalken, der gänzlich ausgehöhlt war. In ihm wimmelten Millionen von kriechenden und fliegenden Ameisen“.

1894 baute Friedrich ein luxuriöses Palmenhaus als Orangerie und Winterquartier für seine geliebten Bäume, von denen er die meisten in seiner eigenen Baumschule aufgezogen hatte. Auch ein Kutscherhaus mit Wagenhalle, Pferdestall nebst Kutscher- und Gärtnerwohnung wurde nun gebaut.
1902 – die Bäume waren gerade mal dreißig Jahre alt – fegte ein großes Unwetter über Aachen hinweg. Der Wirbelsturm knickte mehrere hundert Bäume um und lichtete den Park beachtlich. Dies hielt man zuerst für ein großes Unglück. Jedoch stellte sich heraus, dass die fehlenden Bäume überhaupt erst die Wandelfläche eines Parks möglich machten. Jetzt erst konnte man lustwandeln, herumtollen und rodeln. Vorher war das durch die vielen Bäume gar nicht möglich. So trug der verheerende Sturm sein Scherflein zur heutigen Gestaltung des Parks bei.

1908 starb Friedrich und hinterließ seiner Frau Helene die Sorge um den Park und das Haus. Sie pflegte den Familienbesitz fortan weiter.

Während des 1. Weltkriegs, unter der belgischen Besatzung, erlebten der Park und das Hochgrundhaus ihre besten Tage. Das erste elektrische Lichtkabel wurde vom Grundhaus heraufgelegt. Ein belgischer Major nebst Familie hütete das ihm anvertraute Gut mit einer „nicht hoch genug zu lobenden Umsicht“, wie ein Zeitzeuge schreibt. Nach seinem Abzug fehlten sage und schreibe nur zwei Tassen und eine Schüssel aus der reichhaltigen und wertvollen Einrichtung. Sie waren zu Bruch gegangen und wurden selbstverständlich vom Major persönlich ersetzt.
Dann allerdings ging es rapide bergab. Die belgische Spionage-Dienststelle zog ins Haus ein und wirtschaftete es regelrecht zugrunde. Sie pflegten ihre Hunde besser als das Anwesen und den Park. Der prachtvolle Bestand an Palmen, Lorbeer und Myrthenbäumen fiel dem Geschäft der Hunde und der fehlenden Brennstoffversorgung zum Opfer.

1925, nach Ende des Krieges kam auch das Ende des „Halfernschen Familienbesitzes“. Sohn und Erbe Carl bot der Stadt Aachen das Anwesen zum Verkauf an, da er in Hildesheim den Posten des Regierungspräsident angenommen hatte. Außerdem konnte er als Protestant im katholischen Aachen keine Karriere machen. „So fasste Carl als Junggeselle diesen für die Mutter unfassbaren Entschluss, den Park zu verkaufen“.

Frei nach dem Motto, „Was dem einen sin Uhl, is dem anderen sin Nachtigall“ ließ Aachen sich das Angebot nicht entgehen und kaufte den Park der von Halfern fü „´n Appel und ´n Ei“. Seitdem ist der Park eine intime, auch für die Öffentlichkeit zugängliche, Oase. Immer noch halb Wald, ohne Spielplatz, ohne Eisbude oder Telefonhäuschen. Wer hierher kommt sucht Ruhe fernab des städtischen Treibens … und findet sie!

Die Villa Hochgrundhaus bekam die Stadt als Geschenk noch obendrauf, wohl mit der Auflage, das Haus für soziale Zwecke zu nutzen. Das Herrenhaus wurde daraufhin zu einem Erholungsheim für Jugendliche umfunktioniert. Die weitere Nutzung in den folgenden Jahrzehnten war sehr wechselhaft, bis 1982 der Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik dort einzog.

( Januar 2016)