Die Wurm
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von Birgitta Hollmann
Die Wurm ist der bedeutendste Bach in Aachen, in den alle anderen Bäche einmünden. Auch das Thermalwasser fließt in die Wurm und gab ihr den Namen, denn „wurm“ ist ein altes keltischen Wort für „warm“. Auf ihrem Weg von Süden nach Norden entwässert die Wurm den gesamten Aachener Talkessel und fließt über Herzogenrath und Geilenkirchen in den Kreis Heinsberg. Dort mündet sie nach 53 km Fließstrecke in die Rur.
Das Quellgebiet der Wurm liegt im Aachener Süden in Diepenbenden und Steinebrück. Dort tritt Wasser aus den wasserführenden Schichten des Aachener Stadtwaldes als sogenannte Sickerquellen an die Oberfläche, bildet flächig vernässte Feuchtstellen und kleine, kaum wahrnehmbare Rinnsale. Die fließen zu mehreren sichtbaren Quellbächen der Wurm zusammen.
Schon im 16. Jahrhundert wurde das Wasser der Wurm um Diepenbenden in Teichen gestaut, um zuverlässig mehrere Kupfermühlen zu betreiben. Innerhalb der Aachener Stadtmauern war Metallverarbeitung wegen der Brandgefahr verboten.
Von Diepenbenden aus floss die Wurm oberhalb der heutigen Hangstraße in einem Kanal um den Chorusberg herum und betrieb, verstärkt durch den Predigerbach, im Bereich der 1967 erbauten Kirche St. Gregorius vier Kupfermühlen. Von diesen Mühlen ist nur noch das Gebäude der „Eismühle“ erhalten.
Heute fließt die Wurm hinter Diepenbenden durch einen unterirdischen Kanal zur Eupener Straße, der in die St. Vither Straße abbiegt. An der Eupener Straße 191 steht noch heute das Wohngebäude der Steinebrücker Mühle. Sie lag bereits auf dem Gebiet der ehemaligen Freien Reichsabtei Burtscheid, die wirtschaftlich und politisch von Aachen seit 1018 unabhängig war und ab 1222 von geschäftstüchtigen Zisterzienserinnen bewohnt und verwaltet wurde.
Wie auch an anderen Standorten in Aachen entwickelten sich die Burtscheider Mühlen im Laufe der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zu Fabrikstandorten, vor allem der Nadel- und Textilindustrie, die von der Wasserkraft profitierten. Ab 1816 wurde auch Dampfkraft eingesetzt.
Im weiteren Verlauf durch Burtscheid teilte die Wurm sich rechts und links der heutigen Malmedyer Straße in zwei Arme, die die Kulpriemühle und die Ellermühle mit Wasser versorgten. Noch heute erinnern Straßennamen an diese Mühlen. In Richtung Kapellenstraße speiste die Wurm drei Weiher. Hier wurde die Wurm vermutlich schon in römischer Zeit so umgeleitet, dass sie sich nicht mit den Wassern der Burtscheider Thermalquellen vermischte. Das reine Wurmwasser wurde „Kalter Bach“ genannt, das thermalwasserhaltige Wurmwasser hieß entsprechend „Warmer Bach“. Die beiden Bäche waren durch einen Damm getrennt, woran heute noch der Name „Dammstraße“ erinnert.
Am Kalten Bach lagen mehrere Mühlen, die je nach wirtschaftlicher Situation für unterschiedliche Arbeiten genutzt wurden: als Getreide-, Öl- oder Spinnmühlen, zum Walken von Wolltuchen oder zum Polieren von Nadeln.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde Burtscheid von der Stadt Aachen eingemeindet. Einige der bisher bestehenden Thermalbäder wurden abgerissen und durch ein großes, modernes Landesbad mit neu gestaltetem Marktplatz und großem Kurgarten ersetzt. Kalter und Warmer Bach flossen getrennt weiter in Richtung Bachstraße. Parallel unterquerten sie das Eisenbahnviadukt, das von 1838 bis 1840 errichtet wurde.
Mit zunehmender Industrialisierung und steigenden Bevölkerungszahlen war die Wurm ab etwa 1830 durch häusliche und industrielle Abwässer so verschmutzt, dass sie fürchterlich stank, das Grundwasser verseuchte und Krankheiten wie Cholera und Typhus verbreitete. Als Gegenmaßname wurden im Laufe der Zeit sauber getrennte, unterirdische Kanäle für Bachwasser und Abwasser angelegt.
Im weiteren Verlauf der Wurm vereinigte sich am heutigen Verkehrsknotenpunkt Oppenhoffallee / Schlossstraße der Kalte Bach wieder mit dem Warmen Bach, hinzu floss der Gillesbach von der Burg Frankenberg herkommend. Der weitere Weg der Wurm führte durch die Brabantstraße zum Steffensplatz, querte den Adalbertsteinweg, wurde teilweise wieder in zwei Läufe geteilt, um weitere Mühlen anzutreiben, und nahm dann, wieder vereint, am Rehmplatz das Wasser der Pau auf.
Ab 1875 wurden außerhalb der ehemaligen Stadtmauern gelegene Gebiete in großem Umfang städtisch bebaut. Mühlen und Wiesen mussten Wohngebieten und Fabriken weichen und die Wurm verschwand unter der Erde, wo sie bis heute unsichtbar bis hinter den Europaplatz fließt. Dort tritt sie wieder ans Tageslicht und läuft schnurgerade auf Haaren zu in einem starren, künstlichen Bett, das erst nach dem 2. Weltkrieg angelegt wurde. So durchquert die Wurm die sogenannten Wurmbenden, heute teils Gewerbegebiete, teils landwirtschaftliche Flächen, unterquert den Berliner Ring und dann die Jülicher Straße, hinter der sie das Wasser des von Osten kommenden Haarbachs aufnimmt.
Vor der Begradigung der Wurm mäandrierte sie dort in natürlicher Weise. Dabei wurde ihr Lauf immer wieder von Mühlenkanälen begleitet, die mehrere Mühlen antrieben.
Nach einer Kurve nach Nordwesten unterquert die Wurm die Krefelder Straße und dann die Autobahn A4, hinter der sie wieder nach Nordosten schwenkt und nun ein ganz anderes Gesicht zeigt: Hier wurde sie schon vor Jahren renaturiert, kann sich ausbreiten und bildet eine weite, flache Auenlandschaft mit Altarm, Verzweigungen und Feuchtmulden. Bei Hochwasser wird die Aue überflutet und schützt so das Gelände der Abwasserreinigungsanlage Soers vor Überflutungen. Das Gelände wurde nicht bepflanzt, sondern konnte sich in wenigen Jahren naturgemäß zu einer dichten Wildnis aus Weidegehölzen entwickeln. Bald wanderten Biber ein, die eine regelrechte Seenlandschaft gestalteten, ein echtes Kleinod in der Aachener Bachlandschaft.
Auf der letzten Strecke der Wurm auf Aachener Gebiet mündet der Wildbach von Westen ein. Dann fließt die Wurm mehrere hundert Meter an der größten Aachener Abwassereinigungsanlage Soers vorbei, deren gereinigtes Wasser sie aufnimmt. Im Sommer kann das 80 % des Gesamtwassers der Wurm ausmachen! Kurz danach fließt von Osten noch der Meisbach in die Wurm, die dann an der Wolfsfurth das Aachener Gebiet verlässt.