Der Wildbach II
Nachdem der Wildbach die Ortslage Laurensberg passiert hat, darf er nun durch eine weite Wiesen- und Ackerlandschaft fließen.
Zwischen Schloß Rahe und der Kohlscheider Straße erstreckt sich ein interessantes Feuchtgebiet, eigentlich ein Rückhaltebecken, dass nur bei starken Regenfällen vollständig überflutet ist. Diese Wasserbauwerke dienen dem Hochwasserschutz, der durch die zunehmende Versiegelung der Landschaft durch Straßen, Wohn- und Gewerbegebiete an Bedeutung zunimmt. Der Wildbach fließt daran vorbei, nur ein kleiner Durchlass sorgt dafür, dass dem Becken ganzjährig etwas Wasser zuführt.
Nach der Unterquerung der Kohlscheider Straße trifft der Bach auf die Rütscher Straße, fließt ein Stück weit prallel zu ihr nach Süden, bevor er wieder Richtung Osten abschwenkt. Auf diesem Wegestück muss der Bach ein hohes Wehr und etliche Stufen im Bachbett passieren. Das Wehr bedient ein altes Wasserrecht, also das Recht, Bachwasser für den Teich des nächsten früheren Mühlenstandortes abzuleiten. Solche Mühlengräben-Wehre-Teiche-Systeme waren einst charakteristich für Bäche wie den Wildbach. Für Fische ist hier allerdings kein Durchkommen und die natürliche Bachdynamik leidet ebenfalls darunter. Daher werden mit Aufgabe der Wassernutzung und dem Verfall der Wasserrechte solche Aufstauungen vor allem auch aus ökologischen Gründen möglichst beseitigt.
Vor der nächsten Kurve nimmt der Wildbach das vereinigte Wasser aus dem Rückhaltebecken Rahe sowie des Schwarzsbachs auf. Der Schwarzbach entsprang ursprünglich im Bereich des Bendplatzes und ist heute größtenteils verrohrt.
Kurz darauf trifft man auf die Gebäude der ehemaligen Schleifmühle, die im 16. Jahrhundert zunächst als Kupfermühle dient. Die letzte industrielle Nutzung erfolgte durch die Streichgarnspinnerei Wüller, die bis 1959 arbeitete hier arbeitete. Heute sind auch diese Gebäude zu Wohnzwecken umgebaut. Wie bei den folgenden Mühlenstandorten liegt unmittelbar neben den Gebäudekomplexen ein Mühlenteich, der durch den Wildbach gespeist wurde. Die Teiche dienten als Speicher für die Produktion, anschließend wurde das – nicht unbedingt saubere – Wasser wieder dem Bach zugeführt.
Auf dem Weg entlang des Wildbachs treffen Spaziergänger auf ein altes Wehr, das die Zuflüsse von Wildbach und Mühlgraben regelte. Die gesamte Landschaft ist geprägt von dem Verlauf des Industriebachs, der meistens recht gerade verläuft und dessen Abzweigungen zu den einzelnen Mühlen mit den dazugehörigen Mühlteichen von typischen Bäumen wie Kopfweiden und Schwarzerlen gesäumt sind. Trotz seiner stark naturfernen Überprägung wirkt er daher sehr idyllisch. Inzwischen wird der Bach nur noch minimal unterhalten und viele Wasserrechte wurden aufgegeben. Daher verfallen die alten Uferbefestigungen immer mehr und der Bach zeigt deutliche Tendenzen, seinen natürlichen, mäandrierenden Verlauf wieder einzunehmen. Dadurch steigt die Strukturvielfalt im Bach und damit die Qualität als Lebensraum für Kleinorganismen und Fische im Wasser. Auf dem Abschnitt zwischen Rütscher Straße und Strüver Weg kann man dies besonders gut beobachten, da ein Fussweg unmittelbar am Bach entlang führt. Aus ökologischer Sicht sicherlich nicht unproblematisch. Andererseits eine der wenigen Stellen, wo man einmal mit Kindergruppen gut an den Bach herankommt und dieses Ökosystem erleben kann. Den nur was der Mensch als wertvoll erkannt hat, mag er auch schützen.
Die Stockheider Mühle am Strüver Weg wurde ab 1788 als Walkmühle betrieben, diente zwischen 1891 und 1969 als Färberei und später als Appretur der Firma von Theodor Rzehak. 1969 gingen die Gebäude in den Besitz einer der letzten großen Tuchfabriken Aachens über, der Tuchfabrik „Wilhelm Becker KG“ in Brand. Diese betrieb die Färberei und Ausrüstung bis 1983. Nach dem Umzug der Firma Becker wurden die Gebäude nur noch als Lagerstätte genutzt. Es folgten Jahre des Verfalls bis 2014 das Depot Tuchwerk mit dem Textilmuseum Aachen hier einzog.
Auf dem Weg von der Stockheider zur Soerser Mühle passiert man zunächst ein weites Weiden- und Wiesengelände, das einmal im Jahr für das große Pferdesportevent (CHIO) herhalten muss und entsprechend modelliert und möbiliert wurde. Es folgt ein weiteres Stauwehr, diesmal mit einem über 1,5 m hohen Absturz. Der Weg führt auf einem schmalen Damm zwischen zwei Teichen entlang. Der Teich (genau genommen sind es zwei) zur rechten ist mittlerweile verlandet und hat sich zu einem reizvollen, erlenbestandenen Feuchtbiotop entwickelt. Der Teich auf der anderen Seite ist von einem Angelverein gepachtet. Zur Freude der Naturschützer haben sich seit 2015 hier Biber angesiedelt und gestaltet das Umfeld nach ihren Vorstellungen. Weniger Freude daran haben die Spaziergänge, da inzwischen der Dammweg wegen Einbruchgefahr und umstürzende Bäume gesperrt werden mußte.
Die Soerser Mühle findet erste Erwähnung in einem Totenbuch des Aachener Domes. In diesem ist vermerkt, dass Adam de Soursen dem Stift jährlich 12 Denar aus den Erträgen der Soerser Mühle vermacht hatte. Dieser Adam de Soursen wird 1242 als Aachener Bürger bezeichnet. Im 17. Jahrhundert Kupfermühle, wird die Mühle um 1700 zum Walken von Tuchen genutzt. Ab 1825 ist sie Nadelschleif- und Poliermühle. Ab 1896 arbeitet die Färberei Rouette auf dem Mühlgelände bis sie 1980 von der Tuchfabrik Leo Führen übernommen und bis 1998 weiterbetrieben wird. Ab 1860 errichtet die Spinnerei Lamberts und Gilljam eine Produktionsstätte auf dem Gelände, 1904 abgelöst durch die Kratzentuchfabrik Satorius, die bis 1988 Spinnereikratzen produziert. Nachdem zwischenzeitlich die Computerfirma ELSA hier ihren Standort hatte und für ihren Erweiterungsbau über den Wildbach bauen durfte, nutzen heute verschiedenen kleinere Firmen den Komplex als Gewerbestandort. Die Firma ELSA ging übrigens pleite, nachdem sie zwar gebaut, aber bevor sie den dafür zu erbringenden ökologischen Ausgleich umgesetzt hatte.
Es schließt sich ein letzter, recht naturnaher, Bachabschnitt an, bevor der Wildbach auf dem Gelände der Kläranlage in die Wurm mündet.
Durch die historische Nutzung der Wasserkraft wurde der Wildbach bereits frühzeitig in seinem Verlauf verändert. Später, vermutlich in den 1920er Jahren, wurde er weiter begradigt und das Umland z.T. entwässert. Durch mehrere Staustufen werden die Durchgängigkeit für Fische und der natürliche Material-Transport bachabwärts unterbunden. Auf weiten Strecken präsentiert sich der Bach daher heute als relativ naturfernes Gewässer. Hinzu kommen neuzeitliche Nutzungsansprüche durch Ausweitung von Siedlungsflächen und Freizeitnutzungen (Reitsport u.a.).
Andererseits ist gerade der Wildbach mit seinem Wasserreichtumg und seiner herausragenden Wasserqualität ein ökologisches Kleinod. Sowohl sein Oberlauf bis zur Ortslage Laurensberg als auch der Abschnitt in der Soers bieten (wieder) einer vielfältigen Flora und Fauna Lebensraum. Dieses Potential gilt es weiter zu entwickeln. Mit der Ausbreitung des streng geschützten Bibers an diesem Bach – eine Entwicklung, die wir mit Spannung beobachten – wird sich das Erscheinungsbild von Bach und Landschaft mancherorts stark verändern.
Beachtet werden muss aber gleichfalls, dass die Bäche die geschichtliche Entwicklung der Stadt Aachen entscheidend mitprägten. Es sollte daher mit dem industriellen Erbe pfleglich verfahren werden, so dass auch in Zukunft noch die Bedeutung des Bachwassers für die Industriegeschichte Aachens lebendig bleibt.
Gerade beim Wildbach in der Soer gilt es daher, einen Kompromiss zwischen ökologischen und kulturhistorischen Ansprüchen sowie dem Erholungswunsch der Aachener zu finden. Keine leichte Aufgabe!
(Februar 2017)